Wettbewerbe fliegen? Ich? Noch bis vor Kurzem hatte ich gedacht, ich sollte dies nicht tun. Zu gross war der Respekt vor der eigenen Unvernunft, dann doch mehr Gas zu geben als sinnvoll – Ehrgeiz kann in der Luft ein schlechter Ratgeber sein ;)

Doch die Chance, mit den Besten trainieren zu können, rasch ein besserer Pilot zu werden, Theorie und Praxis weiter vertiefen zu können, die wollte ich mir eigentlich auch nicht entgehen lassen. So meldete ich mich also vor wenigen Wochen an die neu gegründete XC-Liga an – eine Sparte der Swissleague, in der es eben mehr um XC und weniger um Races gehen soll.

Ein kurzes Kennenlernen der Truppe beim ersten gemeinsamen Fliegen in Grindelwald hat mir bestätigt: das ist grundsätzlich eine coole Sache, die Anmeldung an die Newcomer-Challenge konnte ich deshalb nicht sein lassen. Mit Jahrgang 80 war ich zwar einer der Älteren, aber – wie ich später erfahren sollte – mit nicht mal 12 Monaten seit der Prüfung trotzdem der Unerfahrenste.

Die Freude war riesig, als ich von Martin Scheel die Info erhielt, dass meine bisherigen Leistungen (dazu wurde Xcontest ausgewertet) gut genug seien, um für die Newcomer-Challenge selektiert zu sein. Ich durfte mich auf 5 Tage Training mit Martin Scheel (Meteo-Crack) und dem Meister persönlich, Chrigel Maurer, freuen.

Tag 1

So bin ich also am vergangenen Mittwoch, 19.4. bei „bestem Wetter“ (also dem im April so heiss ersehnten Schneefall) nach Oberdorf bei Solothurn angereist – perfekt unter der Talstation der Weissensteinbahn liegt dort ein wirklich schönes, modernes Schulungszentrum, welches wir die 5 Tage komplett für uns hatten. 29 Newcomer plus unsere beiden Mentoren Chrigel und Martin waren gemeldet und trafen auch mehr oder weniger pünktlich für einen ersten ausgedehnten Theorietag  ein – an Fliegen war ja nicht zu denken bei dem Wetter.

Folgende Themen wurden an diesem und (neben dem Fliegen) an den nächsten Tagen behandelt:

Meteorologie

  • Temp & Taupunkt
  • Thermik im Lee – fliegbar oder nicht
  • Windsysteme
  • Wetterprognosen analysieren und nutzen

Wettbewerb

  • Streckenflugtaktik
  • Wettkampftaktik
  • Effizientes Fliegen

Die Atmosphäre war der Hammer – alle waren motiviert, gut gelaunt und wissbegierig. Die Berührungsängste mit dem fliegenden Halbgott Chrigel wichen schnell – er beantwortet nicht nur geduldig jede Frage, er ist auch nach jedem Flug am Feedback jedes Piloten interessiert und nimmt auch gerne entgegen, wenn jemand etwas ganz anders empfunden hat als er selbst. Das ist schon ziemlich aussergewöhnlich, denn – wie wir bei den Flügen sehen durften – fliegt er tatsächlich einfach in seiner eigenen Liga. Obwohl er sich auch in der Luft um das Gruppenwohl kümmerte (besonders auffällig im Flachland) zeigt er selbst unter diesen Voraussetzungen sein unfassbares „Gspüri“ für die richtige Taktik, Routenwahl und natürlich eine sehr effiziente Flugweise.

Tag 2

Am Donnerstag, 20.4. konnten wir dann fliegen – die Gruppe wollte in die Luft, und so fuhren wir los nach Interlaken – bei relativ stark prognostiziertem Nordost-Wind. Wir haben gelernt, unter welchen Voraussetzungen dieser Ausflug trotz der ungünstigen Windprognose Sinn machen kann und so vertrauten wir darauf, dort in die Luft zu kommen.

Geplant war, ein kleines Race über 5 Wendepunkte zu fliegen, wir sollten jedoch um 14 Uhr wieder am Lehn gelandet sein, da unser ausführliches Meteobriefing mit verschiedensten Quellen (inkl. Gespräch mit der Meteoschweiz) klar anzeigte, dass um ca. 14:30 der Ostwind bei Interlaken mit über 15kn durchbricht.

Der Task war zum Einstieg nicht sehr schwierig gesetzt, worüber ich sehr froh war – es war mein erster Task überhaupt:

  • Start Amisbüel
  • Startzylinder B03 Beatenberg Radius 2000m (Enter, Zeit wird also beim Einflug gestartet)
  • B03 Beatenberg 400m
  • B07 Gemmenalp 1500m
  • B02 Niederhorn 400m
  • B07 Gemmenalp 2000m
  • ESS B01 Harder 1000m (ESS = End of Speed Section, hier wird die Zeit gestoppt)
  • LP L04 200m Line (Ziel, muss einfach überflogen werden, Zeit egal)

Das waren nur 18km, also bei guten Bedingungen eine Sache von weniger als einer Stunde… als wir dann aber am Startplatz Briefing hatten, wurde der Task gecancelt, da der für den Nachmittag prognostizierte Ostwind bereits um 11 Uhr stark zu spüren war. Es wurde uns freigestellt zu fliegen oder mit dem Bus runterzufahren – ich entschied mich zu trainieren, dazu war ich ja hier. Schlussendlich konnten Chrigel und ich den Task absolvieren, der Rest der Truppe flog frei. Hier mein Log: https://www.xcontest.org/world/en/flights/detail:RaphaelJeger/20.4.2017/10:13

Ich muss ehrlich sagen: Eine gut überlegte Aufgabe vorgegeben zu bekommen und diese dann erfolgreich abzufliegen, das ist schon ein ziemliches Glücksgefühl. Vor dem Start hätte ich unter den Bedingungen nie gedacht es zu schaffen – aber nach dem Start habe ich einfach immer nur von Turnpoint zu Turnpoint gedacht, und irgendwann war ich mit dem Speeder am Anschlag von der Gemmenalp zum Harder unterwegs, um so rasch wie möglich die Stopuhr anzuhalten. Geschafft!

Die Zeit war nicht gut – ich war beim Hochkreisen nach dem Start viel zu früh in den Startzylinder eingeflogen und hatte vergessen, diesen vor dem Wegfliegen nochmal zu verlassen, um die Stopuhr zurückzusetzen. Chrigel ging es auch nicht besser, er flog zu früh los…

Am Landeplatz vorschriftsgemäss vor 14 Uhr gelandet (gemäss Liga-Auswertung um 13:59 :)) staunten wir alle nicht schlecht, dass statt des prognostizierten starken Ostwinds ein angenehm leichter Hauch West(!)wind zu spüren war.

Irgendwie beruhigend, das selbst die besten Experten sich verschätzen!

Nach der Heimreise noch etwas Theorie, gemeinsames Nachtessen und gemütliches Beisammensein – ein lehrreicher Tag!

Tag 3

Freitag hätte eigentlich mein Heimspiel werden können, war doch ein Task im Jura angesagt, den ich in meinen 11 Monaten seit der Prüfung schon etwas kennenlernen konnte. Der meteorologische Wind war Südost, die Thermik liess es zu, dass wir am Niederwiler Stierenberg einen guten Start in die Aufgabe erwischen konnten – die einfacher nicht hätte gesetzt sein können: Freier Flug mit 3 freien Wendepunkten, Landung am Landeplatz in Oberdorf gibt 20 Pluspunkte.

Es wurde aber nicht mein Flug – ich flog stets zu hoch, war so im Lee der Jurakette und hatte einen ziemlich durchzogenen Flug, während andere weiter unten in ruhigerer Luft im Lee fliegen konnten. Ich gab nach 50km leicht genervt auf und landete ziemlich „durch“ in Oberdorf – 70 Punkte. Da jedoch bis zu 102km geflogen wurden, wurde ich auf der Rangliste bis auf Platz 16 durchgereicht – kein schöner Start, zumal der Task vom Vortag ja nicht zählte…

https://www.xcontest.org/world/en/flights/detail:RaphaelJeger/21.4.2017/11:33

Tag 4

Meine Freude hielt sich in Grenzen, als der Task für Samstag bekannt wurde: Start an der Röti bei Nordwestwind, warten im Startzylinder oberhalb der Schwängimatt, Start ab 12:45, Richtung Flachland. „Wieso muss man im Startzylinder warten“, fragten sich viele mehr oder weniger laut – das Ziel war aber klar: Wenn alle gleichzeitig losfliegen steigt die Chance, gemeinsam weit zu fliegen.

Zu Beginn hatte ich aber mit völlig unerwarteten Problemen zu kämpfen: Zwar war uns nach dem Meteobriefing klar, dass es ein labiler Tag werden würde – dass ich aber im Startzylinder mit den grössten Bigears, die ich je gezogen habe (3 Zellen meines Phantom waren noch offen) und Speeder am Anschlag Mühe hatte, nicht über 1750 rauszuschiessen (die TMA war zu Recht aktiv – wir sahen die Airliner näher als uns lieb war), das hätten ich und auch die meisten andern nun wirklich nicht erwartet. So musste ich also quälend lange 25 Minuten mit grossen Ohren, Steilspiralen und „Wegfliegen“ (da ging es dann noch besser) verbringen, bis endlich die erlösende Zeit 12:45 auf dem Flugcomputer zu sehen war und wir losfliegen konnten.

Aber selbst da wurde es nicht „besser“ und es war schon einigermassen lustig zu sehen, wie 31 Ligapiloten teilweise mit grossen Ohren sich von der Jurakette Richtung Aare unter der TMA durchmogelten…

Ab der Aare wurde es dann richtig interessant zu fliegen, Chrigel flog oft ein wenig voraus, wir hatten bei Bannwil, Langenthal und Melchnau tolle Schläuche, die uns jeweils auf 1800m trugen. Doch ab jetzt war Taktik gefragt, im richtigen Moment den Schlauch verlassen, um ja nicht den nächsten zu verpassen. Vor Reisiswil haben wir in der Führungsgruppe die richtige Taktik gehabt und verliessen den nur noch schwach tragenden Schlauch frühzeitig, während der grosse Teil der Truppe noch drin blieb – knappe 10 Minuten später standen die Zurückgebliebenen bereits am Boden!
Nach Huttwil haben sich Chrigel und Tiziano in den Gegenwind Richtung Westen verabschiedet, Marc und ich haben direkt danach einen super Schlauch erwischt und konnte nochmal richtig aufdrehen. Gemütlich kreisend mussten wir beobachten, wie Chrigel und Tiziano immer mehr Höhe verloren, versuchten, nochmal zurück zu unserem Schlauch zu kommen, aber ohne Erfolg. Das konnte doch nicht wahr sein – Chrigel säuft ab? In einiger Entfernung war ich mir sicher, dass dies nicht mehr zum Aufdrehen reichen konnte – Chrigel war weit unter 100m AGL, für lange Minuten. Im letzten Moment konnte er sich tatsächlich retten – wie konnte ich auch daran zweifeln. Tiziano hatte leider am gleichen Ort nicht mehr so viel Glück und musste landen.
Ich liess mich noch gemütlich mit Rückenwind und Thermikunterstützung weiter über den Napf tragen und landete letztlich auf Platz 4 zwischen Menzberg und Hergiswil bei Willisau. Landschaftlich auf alle Fälle sehenswert!

https://www.xcontest.org/world/en/flights/detail:RaphaelJeger/22.4.2017/10:04

Chrigel schaffte es auch nicht ganz bis ins Ziel Interlaken – trotz der ersten Wolke des Tages bei Schangnau musste er dort landen…

https://www.xcontest.org/world/de/fluge/details/:chrigel/22.4.2017/10:03

Tag 5

Schon der letzte Tag der Newcomer-Challenge? Leider ja – und wir gingen nochmal nach Interlaken. Diesmal wartete eine Aufgabe auf uns, die ich für mich für unlösbar hielt:

  • Start Amisbüel ab 12:45
  • Aufgabenstart T07 Hohwald 1000m Exit
  • B02 Niederhorn 400m
  • B05 Harder Upper 400m
  • B04 Sigriswiler 1000m
  • L04 Interlaken Lehn 400m
  • B48 Blume bei Thun  1000m
  • B12 Daerligrat 3000m
  • ESS B01 Harder 1000m
  • L04 Interlaken Lehn 200m Line

Das waren 53km inkl. Flachlandausflug Richtung Thun! Die Bedingungen waren jedoch sehr gut, es war sehr labil bis 2000m, ich konnte für meine Verhältnisse schnell fliegen und war ziemlich effizient unterwegs. Schlussendlich war ich nach 2:30 auf knapp 100m über Grund am Harder, wo die Zeit gestoppt wurde – jetzt musste ich nur noch gemütlich Aufdrehen, um die letzten Meter bis zu Goal am Lehn zu schaffen.
Wenige Minuten und einige Wingover später landete ich mit 10 Minuten Rückstand auf den Sieger auf dem siebten Platz im Lehn. Was für ein Flug! https://www.xcontest.org/world/en/flights/detail:RaphaelJeger/23.4.2017/11:03

Hier noch eine wirklich sehenswerte Animation aller Piloten dieses Tasks: http://doarama.com/view/1314222

Fazit

Die Teilnehmer der Newcomer-Challenge waren sich einig: Es war eine super tolle Zeit, wir haben alle enorm voneinander, von Martin Scheel und vom besten Piloten der Welt profitiert und theoretisch und praktisch sehr viel gelernt. Für mich persönlich war ich mit dem 9. Schlussrang ganz zufrieden, auch wenn es ohne den misslungenen Tag im Jura noch deutlich besser hätte sein können. Aber wie heisst es so schön? Es gibt keine Hättichte – es gibt nur Habichte!

 

Raphael Jeger